Nach seiner Lehre als Tischler arbeitete Jürgen Coprian zunächst auf der Hamburger Werft Blohm + Voss. Im Oktober 1961 begann er als Jungzimmermann mit seiner Seefahrt auf dem Hapag-Kombischiff FRANKFURT mit einer Reise nach Ostasien. Seine Erzählungen sind sehr detailliert und bildhaft. Er „schaut den Leuten aufs Maul“ und gibt den Bordjargon der Kollegen im Originalton wieder, wodurch die Arbeitsabläufe an Bord und das Alltagsleben auf dem Schiff und in den Häfen für den Leser sehr lebendig werden. Später fuhr Jürgen Coprian jahrelang als Funkoffizier zur See und wird wohl noch in weiteren Bänden als berufener Zeitzeuge über die Seefahrt vergangener Jahrzehnte Interessantes zu berichten haben.
Inhalt:
Vorwort des Herausgebers
Vorwort des Autors
Bei Blohm + Voss…………………………………………….……………
Daten zum Schiff FRANKFURT…………………………………….……
Beginn der Reise auf MS FRANKFURT…………………...……………
Von Genua bis Suez………………..……………………………………..
Von Rotsee bis Singapur………………..………………………………..
Von Singapur nach Manila………………..………………………………
Von Manila nach Hongkong………………..…………………………….
Kobe in Japan………………..…………………………………………….
Yokohama und noch mal nach Kobe………………..…………………..
Heimreise von Kobe bis Colombo………………..………………………
Colombo - Hamburg………………..………………………………………
Flutkatastrophe in Hamburg………………..……………………………..
Presseecho………………..………………………………………………..
Noch eine Fernosteise auf MS FRANKFURT…………………...……...
Leseprobe:
Wie ich zur Seefahrt kam
1. Kapitel - Blohm + Voss
Mit dem 31. Oktober 1960 endete meine Schreinerlehre im Fischbach im Taunus – ein drei Jahre währendes Martyrium hatte damit ein Ende. Wie sollte es weitergehen? Mein alter Berufswunsch - Innenarchitekt – jahrelang voller Frust verdrängt – kam mir wieder in den Sinn. Schiffsinnenarchitekt – gab es denn so was überhaupt? Egal – bloß weg hier! Wenige Tage später war ich in Hamburg. Die von mir angeschriebenen großen Werften benötigten keine Praktikanten. Den Begriff hatten die gar nicht erst in ihrem Sprachgebrauch. Nachdem ich mir nacheinander bei Schliecker, Howaldt, Deutsche Werft und Stülcken eine Abfuhr geholt hatte, blieb nun bloß noch Blohm &Voss. ‚Blohm' ist mir als rauer Haufen geschildert worden. Mit gemischten Gefühlen betrat ich das ‚Arbeiteramt’ am Werfteingang. Nein, mit Praktikant war auch da nichts, aber als Geselle könnte ich anfangen, „frag man bei Meister Sstolper.“ Stolper sprach man dort dem Hamburger Hafenplatt entsprechend dem sspitzen Stein aus. Am nächsten Morgen stand ich dann Punkt sieben Uhr zehn in der großen Werkstatthalle, empfing gegen Unterschrift eine vollständig bestückte ‚Geschirrkiste’ und bekam eine Hobelbank zugewiesen. In dieser Werkstatt wurden alle Möbel, Türen und die verschiedenen hölzernen Einrichtungen für die am Ausrüstungskai liegenden Neubauten vorgefertigt. Normale, saubere, von Material und Fertigung sehr hochwertige Tischlerarbeiten. Mit edlen Hölzern wurde nicht gegeizt, das Beste war stets gut genug. In der sehr geräumigen Halle waren 20 - 30 Hobelbänke verteilt. In einer Ecke war das von einem mürrischen Lagerhalter streng bewachte Magazin für Materialien und spezielle Werkzeuge abgeteilt, in einer anderen ein Glaskasten – dort saß die ‚Kalkulation’. Ein weiterer geräumiger Saal hinter dem Treppenhaus war der Maschinenraum. Eine Etage höher die Lehrwerkstatt, Modellwerkstatt, Beizraum, Spritzkammer und Meister Sstolpers ‚Meisterbude'.
Ich machte zunächst mal das, was alle Neuen üblicherweise tun, befasste mich mit Schärfen meiner Werkzeuge. Kaum eine halbe Stunde war ich dabei, als sich ein älterer Geselle einen Schraubenzieher borgte. Drei Stunden später wollte er das nicht wahrhaben; den Schraubenzieher konnte ich abschreiben. Nach drei Tagen hatte sich mein Werkzeugbestand so weit gelichtet, dass ich das wohl kaum länger durchhalten konnte. Nun aber hatte ich dann auch endgültig kapiert, wie das hier lief. Anscheinend klauten manche der Kollegen wie die Raben. Wichtigstes Gebot also: Kiste stets abschließen, auch wenn man nur kurz mal zum Pinkeln (und Rauchen) verschwand. Ich begann mich anzupassen. Als ich ‚Blohm' nach knapp einem Jahr verließ, war meine Kiste wieder komplett, und ich hatte so viel Überzähliges, dass ich einige gute Kollegen noch damit beglücken konnte. Meine ersten Arbeiten bestanden darin, Schränke, Fensterblenden und ähnliches zusammenbauen, später wurden mir - als jüngstem Gesellen in der Tischlerei – alle möglichen Lückenbüßerjobs auf dem gesamten Werftgelände aufgedrückt. Ich bildete mit einem weiteren ganz Neuen ein Zweierteam, und meistens machten uns beiden Gleichaltrigen die diversen Sonderaufträge Spaß, mit denen wir beauftragt wurden. Mein erster Bordauftrag führte mich auf die als ‚DELOS’ – an die Griechen verkaufte ‚WAPPEN VON HAMBURG’ – die eine neue Inneneinrichtung erhalten sollte. B+V war ja die Bauwerft dieses ersten Seebäderschiffneubaus nach dem Krieg. Unser Job bestand darin, die alte Einrichtung herauszureißen. Für echte kreative Aufgaben waren Kollege Manfred und ich als noch nicht würdig genug befunden worden...
...Im Verlauf des Sommers hatte ich mir eine Lungenentzündung eingefangen, weshalb ich mehrere Wochen im Krankenhaus Hamburg-Rissen verbringen musste. Dort hatte ich zum ersten Mal direkten Kontakt mit ‚befahrenen‘ deutschen Seeleuten, allein drei davon in unserem Sechs-Mann-Zimmer. Ein Zimmermann, ein Bäcker und ein Messejunge. Letzterer hatte natürlich die größte ‚Erfahrung’ – nein Schnauze! Was er den beiden anderen voraushatte: gleich drei Tripper auf dem ersten Dampfer. Ich erfuhr nun erstmalig, was da so los war in der großen weiten Welt; in Westindien, Afrika, in Ostasien. Gut gemeinte Ratschläge dazu: Fahr am besten nur Stückgutdampfer, bloß kein Kümo! Fahr nie bei Oldendorff, Bornhofen und schon gar nicht bei Orion! Ich nahm ’s zur Kenntnis. Na gut, ein Entschluss nahm langsam Form an.
Endlich genesen und zurück ‚bei Blohm‘, machte ich hauptsächlich Reparaturen. Waren mir auch am liebsten. Kein Akkord und immer wieder neue interessante Schiffe, auch Ausländer. Bei Reparaturen in den Mannschaftskammern entdecke ich raffinierte Schmuggelverstecke. Das allein schon fand ich irgendwie romantisch; machte neugierig auf mehr. Eines Tages kam ein Auftrag für die ‚CHRISTIAN RUSS’, ein großes Sechs-Luken-Schiff. Die gesamte Decks- und Maschinenbesatzung hauste im Achterschiff. Das sollte jetzt mit einem starken Heckanker ausgerüstet werden. Dafür wurde eine große Ankertasche eingebaut. Die verstärkte dort die Außenhaut und gab dem vorgehievten Anker besseren Halt. Deshalb fielen dort jetzt zwei Kammern weg, und die hölzernen Schotten mussten wir Tischler ausbauen. Als wir da achtern ankamen, tobte unten eine Riesen-Party. Die fand zwar in verschiedenen Kammern statt, aber der Krach war immens. Gegröhle, Gläsergeklirr, Weiberkreischen. Na so was! Hin und wieder huschten halb bekleidete ‚Damens‘ über den Gang ins Waschhaus, auch stark angetrunkene Matrosen kamen da durch. Ich fragte einfach mal einen: „Sach ma, wo kommt ihr denn her jetzt?“ Ächzt der ganz heiser: „Dreiundvierzig Monate Pazifik.“ „Häh?“ Was meint der damit? ... Und dann erzählte er von wildromantischen Häfen und tollen Frauen, und was sie da alles für Mordsabenteuer erlebt hatten. Und wir zwei Jungtischler machen ganz große Augen und Ohren. Später fragte ich oben in der Messe einen, der noch einigermaßen nüchtern war. Der war Storekeeper; so ’was wie der Vormann der Maschinengang. „Jaa“, sagt der, „also wenn du zur See fahr’n willst, dann – also Zimmerleute sind gesucht – dann gehst du hoch ‚zu Max‘ und holst dir ’n Buch und dann geht das los... Tage später war ich schlauer. Bei Max im ‚Heuerstall‘ – in diesem großen weißen Klinkerbau da über den Landungsbrücken im Hamburger Seemannshaus, das war also die amtliche Heuerstelle – erfuhr ich: „Zu allererst musst du die Gesundheitskarte machen. Und dann kriegst du hier ’n Buch, und dann musst du warten, bis du ’n Dampfer kriegst...“ Das mit der Gesundheitskarte ging problemlos über die Bühne. Der Bäcker vom Krankenhaus in Rissen riet mir, ich solle doch besser erst mal ein paar Reedereien abklappern, ob wer einen Juzi braucht. Juzi stand für Jungzimmermann, also eine Art Zimmermannslehrling. Das wäre dringend anzuraten, weil man ja als Tischler ganz und gar nicht wissen könne, was an Bord die Aufgaben des Zimmermanns überhaupt wären. Wie Recht er hatte. Innerhalb von 14 Tagen stand ich bei zwei Reedereien auf der Warteliste. Bei ‚Schröder‘ wurde ich sehr nett und freundlich empfangen, und ich würde den nächsten freien Dampfer kriegen. Na prima! Außerdem fragte ich einfach so auf Verdacht auch bei der HAPAG nach. Deren eigenes Heuerbüro residierte hochherrschaftlich in der Ferdinandstraße. Mehrere Abfertigungsschalter, eine große Tafel mit Daten zu den im Hafen liegenden und zu erwartenden Schiffen, eine riesige Weltkarte mit Albert Ballins Sinnspruch „Mein Feld ist die Welt.“ Eine Menge braungebrannter Seeleute in der Halle. An der Mannschaftsannahme Deck allerdings gab man sich ziemlich hochfahrend und meinte, das könnte ein paar Monate dauern. Trotzdem, schon wenige Tage später kam mir abends meine Zimmerwirtin ganz aufgeregt auf der Straße entgegen und rief schon von weitem: „Jürgen! Die Hapag hat angerufen. Am Mittwoch steigst du auf der ‚FRANKFURT’ ein, und das Schiff geht nach Japan!“ Im Jahre 1961 war das wie ’n Sechser im Lotto!
Leseprobe:
Salzwasserfahrt(Coprian-Buch 1)
M/S „FRANKFURT“ anno 1961 - Traumtrip Ostasien
... wie damals alles begann – an jenem Dienstag, dem 24. Oktober 1961
Hamburger Schietwetter, aber vom schlimmsten! So ein richtig ungemütlich nasskalter Oktoberabend ist das, als ich schwer bepackt von der Fähre springe. Auf dem Weg zu meinem ersten Schiff, dem Hapag-Kombischiff FRANKFURT. Soll hier im Kaiser-Wilhelm-Hafen liegen. All mein Hab und Gut schleppe ich mit mir. Koffer, Reisetasche, Seesack. Egal, soll ja gleich vornan liegen, der Dampfer. Es herrscht Hochbetrieb im Hafen, alle Piers sind belegt, auch die Dalben in der Mitte des Hafenbeckens. Gegen Wind und Nieselregen ankämpfend halte ich Ausschau - wo zum Geier... Ach du Schande – da liegt sie also. Gegenüber auf der anderen Seite leuchtet in großen Neonbuchstaben der Name FRANKFURT hoch oben am Brückenaufbau. Ein großes Schiff mit vielen großen Fenstern. Der Haken dabei, bloß mal eben so um die zweihundertfünfzig Meter Wasser trennen mich noch davon. Den Schuppen da links von mir mit der großen weißen Nummer 70a am Giebel, genau den hat mir dieser Heuermensch Ehrich in der Ferdinandstraße doch angegeben, ja – und jetzt liegt das Schiff drüben an 74. Mist aber auch. Eine Station zu früh und die nächste Fähre kommt erst in ’ner Stunde. Also hilft nix, das macht so um die zwei Kilometer zu Fuß – einmal rum um das ganze Becken. Fängt ja schon mal gut an!
Verdrossen mache ich mich schwer bepackt auf den Weg; marschiere die lange Reihe Schiffe entlang, die an der Pier liegen. Vorherrschende Schornsteinmarke: schwarzweißrote Ringe über gelbem Grund. Ein Hapag-Dampfer hinter dem andern und zwischendurch auch mal einer vom Lloyd. Der Kaiser-Wilhelm-Hafen ist fest in Hapag-Hand und proppenvoll heute Abend. Leer wird’s hier eigentlich nur am Wochenende, weil – da spart man sich gern die teuren Sonntagsschichten für die Schauerleute und dazu die Liegegelder und scheucht deshalb möglichst alle Dampfer raus auf See. Jetzt aber wird trotz vorgerückter Abendstunde überall zügig gelöscht und geladen, und es heißt, gut die Augen aufhalten, will ich nicht von einem der flinken Gabelstapler oder einer heran schwingenden Hieve erwischt werden. Winden jaulen, quietschend und polternd werden Waggons rangiert. Flache Haufen von weißem Pulver hier, und eine breite Spur von graugrünen Kaffeebohnen dort auf der Rampe, zerfetzte Kartons, Stapel von Paletten. Da und dort grölt ein Viez in die Luke. Im Hamburger Hafen wird gern und oft gepöbelt. Ein kleines Schiff, die „MAGDEBURG“, löscht Pansen aus Kanada. Eklig stinkende Brühe trieft aus der schwingenden Last im Bogen über die Pier. Wie die das da an Bord nur aushalten auf Dauer und überhaupt, wer braucht denn so’n Zeug überhaupt?
Mit dieser und weiteren Betrachtungen, durch Kisten, Paletten und allerlei Gammel auf den Kais hindurch mir den Weg bahnend, erreiche ich schwitzend und durchnässt zugleich endlich mein Ziel. Da liegt sie hoch aufragend vor mir, die FRANKFURT. Ungewöhnlich lang die Aufbauten. Ein stinknormaler Frachter ist das nicht. Das lässt schon die durchgehend übergroße Fensterreihe erkennen, über die gesamte Länge des Mittschiffsaufbaus. Und die zwei Rettungsboote – auf jeder Seite.
Ich setze meinen Fuß auf die Gangway und schleppe mich mühsam, mit meinem ganzen Plünn’kram behängt, zwischen engen hölzernen Handläufen über bewegliche Stufen nach oben. Habe mir in dem Moment nicht träumen lassen, dass dieser Schritt mein künftiges Leben so nachhaltig bestimmen würde. Oben angekommen, schlurft da so ein Zerberus aus einem Seitengang auf mich zu, krummbeinig hinkend und grau unrasiert, alte ausgebeulte Uniform, speckige Schirmmütze mit Hapag-Flagge vorn dran. Als ich mich freundlich als der neue Jungzimmermann vorstelle und wo ich denn hin müsse, raunzt er heiser in diesem Platt, das man hier im Hamburger Hafen auch „Missingsch“ nennt: „Dat is mii doch egohl, ik bün hier de Wachmann, da musstu no achtern gohn, da wohnt die Besatzung. Fraach die Feuerwache!“ Na schön, denk ich, willkommen an Bord...
Also weitergestolpert mit den Klamotten, den engen Seitengang längs und dann über das eiserne Deck nach achtern. Auch die FRANKFURT arbeitet, will heißen aus allen Luken wird gelöscht. Schwere Hieven bepackt mit Kartons und rieselnden Säcken schweben bedrohlich knackend über mich hinweg, und ich habe Mühe, zwischen wackeligen Stapeln von Lukendeckeln, Scherstöcken und aufgetürmten Stauholzbergen unbeschadet durchzukommen, ohne mir gleich meine Ausgehklamotten zu ruinieren. Bin ich doch so erzogen worden, wenn ich mich vorstelle – egal wo, du musst einen guten Eindruck machen. Also zumindest mit Anzug. Aber – wer rechnet denn mit so was? Achtern angelangt führt der Zugang zum Deckshaus über ein hohes Süll hinweg mit Stufe durch eine Teakholztür, und dann bin ich drin im Achterschiff. Ein schmaler Gang dahinter führt zur anderen Seite rüber. Einige Türen mit Schildern drüber wie ‚Wäscherei’, ‚Bootsmann’, ‚Mannschaftshospital’, ‚4 Wäscher’...
Eine gleichfalls schmale Treppe führt nach unten auf einen schmalen verwinkelten Gang. Überall Türen; alle abgeschlossen bis auf eine. Drinnen in der winzigen Kammer – damals wie heute der übliche Ausdruck an Bord für die Wohnräume der Besatzungsangehörigen (nur Passagiere schlafen in Kabinen) – der Kerl, der da schnarchend auf der Bank liegt, das scheint der gesuchte Nachtwachmann zu sein. Ich rüttele mal so’n bisschen an ihm, und es braucht etwas Zeit, bis er ansprechbar ist. Aber dann, als er erstmal zu sich gekommen - sich eine Buddel Bier aus der offenen Kiste am Boden gegriffen hat, redet er gleich los wie ein Buch. Aha, Malermatrose ist der also und auch erst seit heute an Bord. Kennt sich aber aus, was die Seefahrt anbelangt. War vorher Abwäscher auf der „HAMBURG“ – das Schwesterschiff der FRANKFURT - und davor war er Maler auf der „HANSEATIC“. Und weil er neu ist an Bord und eh kein Geld auf der Naht hat für’n Landgang, ham’se ihn gleich für die Feuerwache eingeteilt. Für den Fall dass es brennt. Fragt sich nur, ob der das überhaupt mitkriegt in seinem Dunas, wenn’s denn dazu kommen sollte. „Den Job will in Hamburg nämlich keiner machen weil’se alle selber an Land wollen, aber in deutschen Häfen gibt’s da auch extra Kohle für. Und als was sollst du hier einsteigen?“ Ich sag’s ihm und auch, wie ich heiße. Er heißt Helmut. Vom Typ her ist er so eine Art kleiner drahtiger braungelockter Gnom. Hat eine gewisse - wie soll man sagen - faunisch verschmitzte Art, hört sich mächtig gerne reden, kichert glucksend über seine eigenen Sprüche und ist das erste Original von vielen, die mir bei der Seefahrt so übern Weg laufen. Egal, ob er nun schon ziemlich einen im Tee hat, er bedient sich weiterhin aus der aufgerissenen Holstenkiste unter der Bank. Ich erhalte auf die Schnelle erstmal einen Einführungsvortrag für seemännische Newcomers an Bord, die deutsche Seefahrt im Allgemeinen und ‚Kuddel Hapag’ ganz im Besonderen. Hmmm, besonders rosig hört sich das alles nun auch nicht gerade an.
„...also, wir fahren ja hier an Deck und du als Juzi unterstehst zwar dem Timmermann, aber du gehörst auch zur Decksgang. Pass auf! Der mit Abstand wichtigste Mann von der Decksgang ist der Bootsmann, und das gilt für diesen Menschenschinder, der hier mitfährt, doppelt! Dann kommt eine Weile nichts und dann kommt der Zimmermann - der is’ dein Boss - und dann der Kabel-Ede. Und dann kommen die Quartermasters und die Matrosen und danach die Junggrade. Und von denen bist du als Juzi zwar sozusagen der Ranghöchste, aber – weil du noch unbefahren bist und ein Quiddsche dazu und scheinbar ein ganz schön loses Maul hast, wirst du es mit Sicherheit einigermaßen schwer haben. Auch wenn’s keiner zugibt von denen - die neiden dir zuerst mal deinen Beruf. Nämlich, dass du überhaupt einen ‚richtigen‘ gelernt hast. Bis vor kurzem hatten die nämlich noch gar keinen. Genau genommen! So was, wie den Matrosenbrief gibt’s nämlich amtlich erst seit drei, vier Jahren, und die Decksbauern stecken alle immer noch voller Komplexe. Ach - auf dem Gymnasium bist du auch gewesen? Du - das erzähl denen mal als erstes gleich morgen früh. Was meinste, was die Typen sich dran aufgeilen, einen Oberschüler mal so schön durch die Scheiße zu jagen! Hahaha... Und wenn du mal meinst, du hast wirklich Recht oder du kannst irgendwas besser als so’n Matrose, dann denk dir besser dein Teil und schluck’s runter und mach schon gar nicht den Fehler und leg dich mit ihm an. Und wenn du’s trotzdem tust und du schaffst ihn vielleicht sogar noch, dann werden es dir die anderen besorgen, und wenn sie dich nicht offen schaffen, dann irgendwann in einem unerwarteten Moment, wo du nicht damit rechnest und wo es keiner sieht. Aber, wenn ich dich so ansehe, ich glaub - sie werden auch so ganz leicht mit dir fertig; weißtu!“ Es folgen weitere wichtige Ratschläge fürs Leben oder besser Überleben an Bord. Die Kiste Bier leert sich zusehends...
Leseprobe:
Tags drauf wieder in Singapur. Gleich nach dem Festmachen kommt eine lange Reihe - so um die zwanzig mögen’s wohl sein - junge Frauen und Mädchen die Gangway hoch. Und gar nicht mal hässlich sind die. „Mann, was woll’n die denn hier, woll’n die vielleicht hier mitfah’rn?“ Dem Ardolf weiß Bescheid. „Ja, Würrmelink, das hättste wohl järne, was? Is’ aber nich. Das sind de Tank-Susis. Die wollen jetzt in däine abjedrückten Tanks räin und die sauber machen.“ Tatsächlich. Die belegen das Ladebüro im achteren Deckshaus voll mit Beschlag - keiner von uns darf da mehr rein - und als sie wieder raus kommen, haben sie alle abgerissene Hemden an und schlabberige schwarze Hosen und die Haare eng in Tücher eingewickelt. Anschließend geht’s runter in Luke eins und Luke fünf und da weiter runter direkt in die Ladeöltanks. Die großen Deckel sind vorher schon hoch genommen und umgedreht auf die benachbarte Tankdecke abgelegt worden, so dass sie da unten drinne einigermaßen Licht haben und Luft - und wir von oben gute Sicht. Schnell und gekonnt bauen sie aus Bambusstangen und dünnen Brettern Stellagen in die Tanks, und dann geht’s los. Mit Rosthämmern, Roststeckern, Bürsten und Messerchen wird jeder Quadratzentimeter gereinigt - nein blank gekratzt - und geschliffen, bis auf das blanke Eisen runter. Wenn das Werkzeug stumpf ist, klettern sie an Deck und lassen es nachschärfen. Gemütlich im Schatten hockt da ein alter Malaie an einer Doppelschleifmaschine und macht nichts anderes, als den ganzen Tag Roststecker messerscharf zu schleifen.
In Luke zwei und vier wird Gummi geladen - Naturkautschuk. Die an den Bäumen aus langen Bahnen aufgefangenen Gummirinnsale zu Strängen aufgewickelt, dann zu halbmetergroßen grauen Würfeln geformt, wird das Zeug im offenen Güterwaggon direkt von den Plantagen aus dem Inneren von Malaysia herangeschafft, an der Pier in Drahtbrooken gepackt und dann an Bord gewinscht. Der Stoff ist verdammt schwer, man merkt es am Knirschen der Rennerdrähte auf den Trommeln. In der Luke kurz abgesetzt, werden zwei Augen der Brooken ausgehakt, und dann hievt der Winschmann den Renner wieder volle Pulle nach oben, wobei die Gummiballen mit Schwung herauspurzeln und wild durch die Luke kollern. Manche Ballen haben sich zwischen den Maschen der Brook verklemmt und fallen erst aus einigen Metern Höhe auf die kreuz und quer schon daliegenden. Die Dinger sind so hochelastisch, dass sie dann völlig unberechenbar wild durch die Luke schießen und die Schauerleute zu wilden Rettungssprüngen zwingen. Die einzelnen Kautschuklagen werden mit Stauholz separiert, und reichlich Talkum wird dazwischen gestreut. Dieses weiße Pulver verhindert, dass die einzelnen Ballen sich durch Wärme und Gewicht bis zum Löschhafen in Europa zu riesigen Klumpen verkleben.
Nachmittags hocken wir zum Teatime in der Messe, da kommen plötzlich zwei Mädchen rein, die aber nicht zu den Tank-Susis gehören. Sie haben Körbe dabei mit Cola-Flaschen, Milch, Kakao und Obst zum Verkauf. Erst geht so ein allgemeines scherzhaftes Geplänkel los, die übliche Flaxerei halt. Wenn Hein Seemann Weiberfleisch zu sehen kriegt, dann wird er munter. Aber nix da. Punkt viertel nach scheucht uns der Scheich zur Arbeit und nimmt die Mädels mitsamt ihren Körben nach achtern. „Seit wann trinkt der denn Milch?!“ frag ich den Maler. „Ich glaub kaum, dass der auf Milch in Flaschen scharf ist“, meint der, „der hat’s nicht auf denen ihre Körbe abgesehen, der will an ihre Titten ran für ’n Stündchen oder zwei, kannste Gift drauf nehmen...“ Damit wird er wohl recht haben; Walter bleibt reichlich lange von Deck verschwunden...
Tags drauf am frühen Morgen kommt der Surveyor zur Tankbesichtigung, ein Engländer. Die Susis haben die ganze Nacht durchgeschuftet, hängen jetzt nur noch träge an Deck rum. Die Tanks sind blank, strahlen vor Sauberkeit, man könnte glatt essen davon. Der Limey klettert im weißen Overall runter, zieht sich unten weiße Stoffbeutel über die Schuhe - und lehnt zwei von den vier Tanks ab, beanstandet versteckte winzige Roststellen unter den Heizschlangen und in irgendwelchen kaum einsehbaren Ecken. Die übermüdeten Mädchen müssen noch mal für zwei Stunden runter. Einer der Tanks wird noch mit flüssigem Wachs ausgestrichen. Fertig dann. Die Susis flitzen schnell nach achtern, nehmen unser Waschhaus voll in Beschlag. Großes Duschen ist angesagt. Aber keine Chance für Hein Seemann zum fröhlichen Mitmachen. Die Tür bleibt dicht, und der alte Mann hält jetzt eisern Wache davor, mit einem messerscharf geschliffenen Roststecker in den Händen...
Lieber Herr Ruszkowski,habe soeben eine Woche Kurzurlaub an der Adria-Küste hinter mir und dazu passend auch Herrn Copians Buch "Salzwasserfahtern" (Band 49) gelesen. Es ist ein sehr detailierstes und intressantes Seefahrt-Abenteuer Buch, welches ziemlich treffend und genau eine Reise an Deck eines Stückgutdampfers in den sechziger Jahren beschreibt. In manchen Kapiteln schon fast ein Matrosen- ABC (Gab es wirklich, es war das Lehrbuch für die Deckslaufbahn, ich habe mein Exemplar noch heute im Regal zu stehen). Intressanterweisse war ich ja ein paar Jahre später bei derselben Reederei und fuhr dieselbe Reiseroute wie Herrn Copian. Die Kombischiffe waren in der Tat optisch mit die schönsten Frachtschiffe überhaupt, und ich erinnere mich wie einige Altmatrosen auf der MS Borussia & MS Bavaria von diesen Schiffen schwärmten. Jürgen Copian wiederbelebt viele schon fast vergessene Einzelheiten der damaligen Seefahrtzeit, wie etwa die Nora- Plastikschuhe oder die Leopard-Panzer-Wannen bei Blohm & Voss oder aber auch an die Rikschafahrt in Hongkong zu den als Nähereien getarnten Wohnblockpuffs. In meinen späteren Jahren, ja bis heute, bin ich in fast allen Hafenstädte als Tourist immer noch auf den Fährten von damals unterwegs und suche wehmütig, doch meist vergebens nach Überbleibseln verganger Seemannszeit. Vor einem Jahr schloss die letzte echte Seemannsbar "Northern Ligths" im Yokohama-Chinatown, Mama san war 75 Jahre alt, und es gab dazu noch eine etwas jüngere orginal japanische Barhostess von damals, sie wartete immer noch auf den einen oder anderen Seemann, der ihr die grosse Liebe versprochen hatte. Jürgen Copians "Salzwassergeschichten" ist eines der Besten in Ihrer gelben Buchreihe "Zeitzeugen des Alltags" Herzliche Grüsse aus Tokyo/Tübingen Rainer Gessmann Autor von Band Nr. 9Endstation Tokyo
Band50in der maritimen gelben Buchreihe„Zeitzeugen des Alltags“
amüsant und spannend wird über das Leben an Bord vomMosesbis zumMatrosen vor dem Mastin den 1950/60er Jahren, als Nautiker hinter dem Mast in den 1970/90er Jahren berichtet
Telefon: 040-18 09 09 48- Anrufbeantworter nach 30 Sekunden-
Fax: 040 - 18 09 09 54
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Bücherin der gelbenBuchreihe"Zeitzeugen des Alltags" von Jürgen Ruszkowski: Wenn Sie an dem Thema "Seeleute" interessiert sind, gönnen Sie sich die Lektüre dieserBücherund bestellen per Telefon, Fax oder am besten per e-mail:Kontakt:
MeineBücherder gelben Buchreihe "Zeitzeugen des Alltags" überSeeleuteundDiakonesind über denBuchhandel oder besserdirekt bei mir als dem Herausgeberzu beziehen, bei mir in Deutschland portofrei(Auslandsporto)
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